Bike-Kurs auf Waldweg

Ein Bike-Guide für alle

Ich dachte ja, ich könne biken. Falsch. Ich kann velofahren. Aber das ist etwas anderes, wie ich an einem Bike-Kurs mit meinen zwei Töchtern erfahren musste. Es blieb nicht die einzige Erkenntnis.

Wir pedalen nun seit zehn Minuten bergauf. Der Wald, unser Ziel, ist in Sicht, aber in weiter. Ob meine Mädchen durchhalten? Natürlich! Wir haben schliesslich Guide Vanessa von Trail Affair bei uns, unsere Bike-Königin, unseren Engel. Sie spornt an, lenkt ab und macht in exakt den optimalen Augenblicken Halt. Als sie kurz vor einer kleinen Kreuzung plötzlich lossprintet, um für uns den Verkehr zu regeln, gewinne ich meine zweite Erkenntnis dieses Nachmittags: So ein Guide ist goldig.

Zu meiner ersten Erkenntnis bin ich bereits während der Anfahrt im Auto gekommen. Meine beiden Töchter, fünf und acht Jahre alt, und ich waren etwas nervös, schliesslich hatten wir noch nie so einen Fahrtechnik-Kurs gemacht. Während ich innerlich über die ausgeliehenen Velohosen fluchte, die ungemein zwickten, fragte meine Ältere, warum ich eigentlich beim Autofahren den Helm trage. Stimmt, den hatte ich ganz vergessen, so bequem ist er. Das also war der Auftakt in eine ganze Reihe von Erkenntnissen:  Es lohnt sich, einen neunen Helm zu kaufen.

Inzwischen sind wir im Wald angekommen. Los geht es mit Theorie. Vanessa hat mich im Vorfeld gefragt, was wir können (so gut wie nichts) und erwarten (erster Fahrtwind auf dem Mountainbike geniessen und die wichtigsten Basics lernen). Entsprechend fängt unser Guide bei null an. Als Erstes geht es um den Gorilla, die Aktivposition auf dem Bike. Vanessa zeigt gerade vor, wie stark wir die Arme beugen sollen, als meine Jüngere findet, es sei jetzt Zeit für eine Pause. Was, jetzt schon?, denke ich. Aber Vanessa findet: «Super Idee, fürs Biken brauchen wir Energie.» Also holen wir unser Picknick hervor, und ich notiere mir gedanklich meine dritte Erkenntnis: Je mehr Proviant im Gepäck, desto besser.

Während wir uns stärken, baut Vanessa mit mitgebrachten Hütchen einen Slalom auf. Sie fährt jede Übung vor – den Gorilla, das Bremsen mit nur einem Finger, das Vorwärtsschauen, das Aufstehen, das Kurvenfahren ­–, wir machen nach. Einmal wage ich es, meiner Älteren vorzuschlagen, die Arme noch etwas mehr zu beugen. Da schnaubt sie wie ein Silberrücken. Auf dieser Reaktion basiert meine vierte Erkenntnis: Ein Guide darf korrigieren, ich nicht. Ich bin nur ein Gorilla unter vielen.

Kaum habe ich mich damit abgefunden, überschlagen sich die Erkenntnisse. Die fünfte: Im Wald fällt es sich herrlich weich. Ja, ich bin gestürzt. Auf unserem ersten, kurzen Trail hat mich eine Wurzel gebodigt. Ich, deren Fachgebiet das Randstein- und Tramschiene-Passieren ist, habe eine Wurzel zu parallel genommen. Sechste Erkenntnis: Wer Velo fahren kann, kann noch lange nicht Biken.

Als Nächstes will Vanessa mit uns das Abwärtsfahren üben. Sie weiss auch schon wo. Vor unserem Kurs ist sie nämlich den Wald abgefahren, um die für uns perfekten Übungsstrecken zu finden. So ein Aufwand. Extra für uns! Als Vanessa später meine Jüngere beim Runterfahren mit voller Kraft stützt und das – leider viel zu schwere – Kinderbike immer und immer wieder den Übungshang hochschiebt, zeichnet sich meine siebte Erkenntnis ab.

Ich: «So, Vanessa, lass mich mal schieben.»

Vanessa: «Nein, das ist meine Aufgabe. Du bist da zum Biken.»

Kleine Botschaft, grosse Erkenntnis: Bike-Guide ist kein Schoggijob.

Nach gut anderthalb Stunden, ist die Luft raus. Nicht bei den Veloschläuchen, sondern bei meinen Gorilla-Kindern. Gut, dass ich beim Buchen des Kurses Vanessas Rat befolgt habe (der auch gleich meine achte Erkenntnis ist): Ein bis zwei Stunden Bike-Kurs reichen für Kinder.

Auf dem Rückweg zum Auto verrät mir Vanessa diverse Bike-Tipps in der Umgebung. Die können wir später ohne Guide ausprobieren. Ich freue mich darüber, den Kurs bei einer Bike-Schule nahe unserem Wohnort gebucht zu haben. Biken lässt sich auch im Unterland. So meine neunte Erkenntnis.

Zurück beim Auto kippe ich vor lauter Stolz fast vom Sattel. Wir haben heute wirklich viel gelernt. Vanessa hat es geschafft, jede von uns abzuholen und individuell zu fördern. Das verdient meine zehnte Erkenntnis: Selbst von einem Kurs mit unterschiedlichen Niveaus profitieren alle.

Da gibt es noch eine elfte, allerdings inoffizielle, Erkenntnis: Wenn ich mal richtig gut biken kann, will ich auch so eine hübsche Velokette haben wie Bike-Guide Vanessa. Sie ändert je nach Lichteinfall die Farbe. Wahnsinn.

Was: Fahrtechnik-Kurs

Teilnehmerinnen: Mutter (41) mit zwei Töchtern (5 und 8)

Guide: Vanessa, Swiss Cycling Guide und Mitinhaberin der Bike-Schule Trail Affair in Zug: www.trailaffair.ch

Dauer: 2 Stunden

Kosten: 270 Franken

Lerninhalt: Grundposition, bremsen, vorwärtsschauen, kurvenfahren, aufstehen beim Fahren, einfache Trails, abwärtsfahren

Methodik: wenig Theorie, viel Praxis

Warum sich der Kurs gelohnt hat: Entdecken einer idealen Übungsgegend, Kennenlernen der wichtigsten Bike-Basics, Sicherheit auf dem Bike, Spass

Über die Autorin

Eva Wirth (38) lebt mit ihrem Partner und den drei Kindern (null, drei und sechs Jahre) in einem Dorf nahe Zürich. Im Alltag der fünf kommen eher Lieder von Mani Matter zum Zug als Tipps aus Erziehungsratgebern. Eva Wirth arbeitet als Redaktorin, macht derzeit aber Babypause.

Eva Wirth