erschöpfte Eltern mit Kinder

«Gut ist besser als perfekt»

Burnouts gibt es nicht nur im Job, sondern auch in der Familie. Was, wenn die Mutter oder der Vater nicht mehr kann? Elterncoach Bernhard Prechter im Interview.

Bernhard Prechter, was ist am Elternburnout anders als am herkömmlichen Burnout?

Das herkömmliche Burnout entsteht im Job, das Elternburnout hingegen steht im Kontext mit der Familie. Einen Job kann man im Extremfall künden – das Elternsein nicht. Bei einem Elternburnout liegt es darum vor allem an der Mutter oder am Vater, aus eigenen Entwicklungsschritten die Erschöpfung zu überwinden.

 

Wie stark verbreitet ist das Elternburnout in der Schweiz?

Elternburnout ist ein eher neues Phänomen. Es wird allmählich beforscht, aber Zahlen aus der Schweiz gibt es noch keine, spezifische Angebote für Betroffene auch nicht. Im Ausland, zum Beispiel in Deutschland, ist man weiter. Dort gibt es Institutionen, die Mütter dabei unterstützt, sich eine Auszeit zu ermöglichen. In der Schweiz fehlt etwas Vergleichbares leider gänzlich. Wer sich für längere Zeit ausklinken möchte, findet zwar offizielle Unterstützung, die Hürden aber sind hoch. Ich bedaure das, denn die Nachfrage bestünde. In meiner Arbeit als Berater – unter anderem für den Elternnotruf Zürich – musste ich feststellen, dass Elternburnouts immer häufiger vorkommen.

 

Wie lässt sich die Zunahme erklären?

Ich sehe vor allem drei Gründe. Erstens ist die Arbeitsbelastung von Eltern, vor allem von Müttern, heute deutlich höher als noch vor einigen Jahrzehnten. Erholung und Achtsamkeit bleiben oft auf der Strecke. Zweitens birgt das heute gängige Konstrukt Kleinfamilie Risiken: Die – wenigen – Mitglieder stehen immer im Fokus, jeder ist auf jeden angewiesen und muss die Erwartungen erfüllen. In einer Sippe ist es anders. Die Arbeit kann auf mehr Personen verteilt werden, zudem fällt weniger auf, wenn jemand vom Soll abweicht, zum Beispiel am Tisch schmatzt, den Schulthek mitten im Flur stehen lässt oder den Nachbarn nicht grüsst.

 

Und wo sehen Sie den dritten Grund für die Zunahme von Elternburnouts?

Früher konnte man mit Liebe und gesundem Menschenverstand Eltern sein. Heute, im Sog des Selbstoptimierungstrends, meinen viele Eltern, sie müssten Übermenschen sein – allzeit da für das Kind, unterstützend und in tiefer Verbundenheit. Das sind wahrlich schöne, aber natürlich unerreichbare Ziele. Sie entstammen einer idealisierten Welt – wer ihnen nacheifert, kann schnell in Stress geraten.

 

Wer ist vom Elternburnout besonders gefährdet?

Gegen ein Elternburnout ist niemand gefeit. Alleinerziehende, die ja besonders viel Verantwortung tragen, sind speziell gefährdet. Aber noch tragender als äussere Umstände sind persönliche Variablen, zum Beispiel Perfektionismus. Wer den Anspruch hat, dass der Familienalltag immerzu «perfekt» läuft, kann unter enormem Druck stehen – und erlebt wahrscheinlich immer wieder Enttäuschungen.

 

Was ist heilsamer als Perfektionismus?

Ich sage gerne «Gut ist besser als perfekt». Was «gut» bedeutet, entscheidet jede Mutter und jeder Vater individuell. Sich dessen bewusst zu werden, ist wirklich wichtig und erlöst einen von unnötigem Druck. Also, liebe Eltern, beantworten Sie für sich die Fragen: Was ist mir für unsere Familie wichtig? Welche Werte möchte ich leben? Was ist mein «Führungs-Stil» als Mutter oder Vater?

 

Es ist allgemein bekannt, dass Elternsein mitunter anstrengend ist. Wann wird die Anstrengung krankhaft?

Wenn die Arbeiten in der Familie nur noch mechanisch und energielos erledigt werden. Auch bei anhaltender Dünnhäutigkeit, Desinteresse am Kind, innerer Leere, Antriebslosigkeit, Anfälligkeit für Infektionen und diffusen körperlichen Beschwerden wie Schwitzen oder Kopfschmerzen sollten die Alarmsignale leuchten. Spätestens, wenn man nicht mehr schlafen kann, ist es Zeit zu handeln.

 

Wie?

Ein Elternburnout ist ein somatisches, also körperliches Phänomen. Es empfiehlt sich, eine fachliche Hilfe beizuziehen. Auf dem Weg aus dem Burnout erweisen sich folgende zwei Schritte oft als wesentlich: Zum einen den Workload innerhalb der Familie anders zu verteilen oder auszulagern, zum anderen an der eigenen inneren Haltung zu arbeiten.

 

Inwiefern?

Gemäss meiner Erfahrung sind jene Eltern am glücklichsten, die Nein sagen und Prioritäten setzen können – kurz: Eltern, die die Fünf auch mal gerade sein lassen können. In meinen Beratungen von erschöpften Eltern sehe ich, dass auffallend viele von ihnen sachorientiert statt bindungsorientiert ihre Kinder begleiten. Ihr Fokus liegt insbesondere darauf, wie das Kind sich verhält, was es leistet und wie gut es gehorcht. Glücksversprechend ist diese Linie nicht. Das Wohlbefinden der gesamten Familie steigt wesentlich, wenn die Eltern eine konstruktive Beziehung zum Kind pflegen und emotional mit ihm in Kontakt stehen. Wie das geht, kann man lernen.

Es geht drunter und drüber? Alles wird zuviel? Dann kann es helfen, unliebsame Arbeiten abzugeben – und zwar an Profis.

Bei Simpla findenst du zahlreiche professionelle Helfer, die dich zum Sonderpreis unterstützen, sei es beim Hemdenbügeln, Fensterputzen oder Hausaufgabenmachen.

Über die Autorin

Eva Wirth (38) lebt mit ihrem Partner und den drei Kindern (null, drei und sechs Jahre) in einem Dorf nahe Zürich. Im Alltag der fünf kommen eher Lieder von Mani Matter zum Zug als Tipps aus Erziehungsratgebern. Eva Wirth arbeitet als Redaktorin, macht derzeit aber Babypause.

Eva Wirth