Sie meinte, ganz leicht auf ihr Handy verzichten zu können. Bis sie es wirklich tat.
20. Oktober
Heute einmal mehr gemerkt: lasse mir meinen Alltag diktieren. Von meinem Handy! Schaue ständig aufs Display. Wenn es piepst, und – noch schlimmer – auch wenn es nicht piepst.
24. Oktober
Habe mich für ein Digital Detox entschieden. Eine Woche lang. Morgen geht es los. Werd’s überleben. So krass ist meine Handysucht ja nicht.
25. Oktober
Muss den Start verschieben. Zu viel los. Nächste Woche passt besser.
30. Oktober
Sorry. Muss den Start abermals verschieben. Jetzt gerade ist es zu riskant. Meine Eltern sind auf Reisen – was, wenn sie mir in der Not schreiben und ich die Nachricht zu spät oder gar nicht sehe? Ausserdem ist Räbenliechtliumzug; wer weiss, welche kurzfristigen Änderungen da noch eintrudeln. Vernünftiger, ich bleibe auf allen Kanälen erreichbar.
31. Oktober
Planänderung. Entziehungskur beginnt doch morgen. Muss. Sonst mach ich’s nämlich: nie. Ist mir kurz vor dem «Tatort» bewusst geworden. Also, hopp, vor dem Vorspann die nötigen Vorkehrungen treffen:
- Stelle auf dem Handy alle Benachrichtigungen und Klingeltöne ab
- Lösche unnötige Apps, verstecke halb-unnötige in einem Ordner
- Tippe in mein Status-Feld: «Falls dringend, bitte anrufen. Bin offline bis 19 Uhr.»
- Schicke meinen Liebsten eine Bye-bye-Message. (Überlege, auch die Lehrpersonen meiner Kinder zu informieren. Tu es nicht. Zu peinlich.)
- Notiere in mein mentales Digital-Detox-Handbuch zwei Gelübde:
- Ich nutze mein Smarthone nur zum Telefonieren und Fotografieren.
- Zwischen 8 und 19 Uhr meide ich alle Funktionen, die Internet benötigen (Ausnahme: Musik-Streaming-Dienst).
1. November
Erster Tag, erste Entzugserscheinungen, erste Rückfälle. A) Lese im Zug ins Büro die News (was sollte ich sonst tun?!). B) Antworte auf die Textnachricht meiner Nachbarin, die ihren Aushöhler fürs Räbenschnitzen bei uns vermutet (zu recht). C) Checke die Wetterprognose für Mittwoch. Kurz: Verzicht ginge anders. Vielleicht doch abhängiger als angenommen?
2. November
Schon besser. Vielleicht liegt es an meinem neuen Buch. Lenkt noch besser ab als News. Hege aber Zweifel an meinem Radikalismus: Familienmanagement ohne Textnachrichten? Richtig, richtig mühsam. Muss ja alles am Abend nachholen – das Antworten, Einfädeln, Nachfragen. Aber: Aufgeben kommt nicht infrage.
3. November
Heute ganz doof. Treffen mit meinem Partner in der Stadt. Totale Überforderung. Organisiere Anreise mittels Kursbuchs, löse Zugticket am Automaten. Eigentlich. Nutze in Wirklichkeit für beides die App. Eine Ausnahme, denke ich. Falsch. Weil: Die Kinder und ich verpassen den Zug, dann den Anschluss-Bus. Gebe erste Verspätung meinem Partner im Büro per Anruf durch. Problem gelöst, ohne Regelverstoss. Bravo. Aber wegen der zweiten Verspätung gleich nochmals anrufen? Schaff ich nicht. Ich schreibe: «Warten auf Bus.» Er antwortet: «Ok.» Daran kann nichts verboten sein!
4. November
Telefoniere heute besonders viel. Wegen jeder Kleinigkeit. Ob das die anderen nervt? Wäre verständlich. Reisse sie ja mit jedem Anruf aus ihrem Alltag heraus. Würde ich eine Textnachricht schicken, könnten sie selbst entscheiden, wann sie Lust auf Kommunikation mit mir haben. Mein Partner sagt, er fände meine Detox-Woche sehr, sehr mühsam, aber irgendwie auch sehr, sehr toll. Ich finde alles gerade eher mühsam als toll.
5. November
Letzte Woche noch las ich die News, während ich darauf wartete, dass die Spaghetti al dente sind. Ich suchte auf Ricardo ein Hochbeet, während meine Lunch-Begleitung im Restaurant kurz auf die Toilette verschwand. Und ich holte Unterstützung von Google, während ich mein Hirn nach dem griechischen Wort für «Prost» durchsuchte. Diese Woche nicht. Ich nutze mein Handy absolut reduziert und geniesse die neu gewonnene Freiheit – überhaupt nicht! Bin verunsichert, frustriert, ernüchtert. Digital Detox ist blöd.
6. November
Meine Älteste will mit ihrer Freundin video-chatten. Heute nicht, sage ich und erkläre Sinn und Zweck meiner Entziehungskur. Äh, warum genau, Mama?
7. November
Vermisse mittlerweile das Handy für meine Ablenkung immer seltener. Die gelöschten Apps zur Pflanzen-Bestimmung, zum Gitarre-Stimmen und zum Postkarten-Kreieren sind kein Verlust. Und nur bedingt erreichbar zu sein, empfinde ich mittlerweile tatsächlich als Erleichterung. Was aber fehlt: die kurzen Interaktionen per Textnachricht mit meinem Umfeld. Eine Frage, ein Witzli, ein Gruss. Bin jetzt, nach sieben Tagen Detox, vielleicht leicht entgiftet, aber vor allem stark entnervt. Denn familienalltagstauglich ist meine Art von Digital Detox nicht. Zu radikal, zu erzwungen. Hätte besser eine realistisch sinnvolle Handynutzung eingeübt. Hole das jetzt nach, ziehe Kur weiter. Ergänze vorher meine Gelübde mit je einem «Aber»:
- Ich lese Textnachrichten, aber beantworte sie nur in dringenden Fällen umgehend, im Normalfall frühestens gleichentags am Abend.
- Ich nutze alle Funktionen auf dem Handy, aber wäge vorher die Dringlichkeit ab.
So, jetzt hänge ich aufs Sofa und führe meine Suche nach einem Hochbeet auf Ricardo endlich zu Ende. Das ist nicht dringend? Und ob!
Weniger Handy, mehr Zeit! Also rein ins Vergnügen: Auf Simpla findest du zahlreiche Freizeitangebote zum Sonderpreis – für Sportbegeisterte ebenso wie für Wasserratten und Hobbydetektive.
Über die Autorin
Eva Wirth (38) lebt mit ihrem Partner und den drei Kindern (null, drei und sechs Jahre) in einem Dorf nahe Zürich. Im Alltag der fünf kommen eher Lieder von Mani Matter zum Zug als Tipps aus Erziehungsratgebern. Eva Wirth arbeitet als Redaktorin, macht derzeit aber Babypause.